Themen

Wissenswertes für Prophylaxe-AssistentInnen erwartet Sie im Bereich Prophy-Themen.
Filtern Sie nach der gewünschten Kategorie, geben Sie Ihren individuellen Suchbegriff
ein und finden Sie so alle Artikel zum gewünschten Thema.

Fluoride – sinnvoll oder bedenklich?

By: | Tags: , , , , , , , , , | Comments: 0 | November 17th, 2017

Was ist dran an der Verunsicherung der Patienten?

Vielleicht hatten auch Sie schon Patienten in der Praxis, die ausschließlich fluoridfreie Zahnpflegeprodukte verwendet und Ihnen erklärt haben, wie giftig und krankmachend Fluoride seien? Schließlich ist auch das Internet voll mit diesen Informationen. Soll denn tatsächlich in Frage gestellt werden, was die zahnärztlichen Fachgesellschaften rund um den Globus empfehlen? Wir haben die wichtigsten Fakten rund um das Spurenelement zusammengetragen. Machen Sie sich selbst ein Bild!

Was sind Fluoride?

Fluorid ist das negativ geladene Ion von Fluor, welches in der Natur nur äußerst selten in seiner gasförmigen Konsistenz – etwa bei Vulkanausbrüchen – vorkommt. Es macht einen Teil der Erdkruste aus (0,065%) und gelangt vor allem durch den Wasserkreislauf in die Umwelt. Einige Nahrungsmittel enthalten größere Mengen an Fluorid, zum Beispiel grüner und schwarzer Tee (0,6 (2) bis 8,85mg/L (3)) oder Fisch (Ölsardine: 10,54mg/kg (3)). Die Hauptaufnahmequelle von Fluorid ist das Trinkwasser, welches in Österreich nicht fluoridiert ist und einen geringen Fluoridgehalt aufweist. Die Fluoridtrinkwasserkonzentrationen variieren jedoch unter den Gemeinden (12). In der Bundeshauptstadt Wien liegt die Trinkwasserfluoridkonzentration bei etwa 0,025mg/L und entspricht damit dem Fluoridgehalt von destilliertem Wasser (0,01-0,05mg/L) (9), Mineralwasser kann jedoch einen weitaus höheren Fluoridgehalt (> 1,5mg/L) aufweisen (15).

Die Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) definieren die angemessene tägliche Fluoridaufnahme mit 0,05mg/kg Körpergewicht. Diese wird als jene Menge definiert, die bereits kariesprotektives Potenzial hat, bei der das Risiko für Schmelzfluorosen in der Bevölkerung aber vernachlässigbar ist (9). Tatsächlich wird in Österreich aber nur relativ wenig Fluorid mit der Nahrung aufgenommen (0,35-0,57mg) (2). Fluorid ist zwar kein essentielles Spurenelement und nicht an lebensnotwendigen Stoffwechselvorgängen beteiligt, eine ausreichende Fluoridzufuhr kann das Kariesrisiko jedoch um ca. 50 % senken (14).

Geschichte der Fluoride in der Kariesprophylaxe

Die kariesprotektive Wirkung der Fluoride ist bereits sind bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt, die ersten großflächigen Einsätze fanden ab 1950 in den USA und Kanada statt, indem durch künstliche Trinkwasserfluoridierung das Auftreten von Karies in der Bevölkerung reduziert wurde. Auch heute noch werden weite Teile der USA und Kanada mit fluoridiertem Trinkwasser versorgt. Der Trinkwasserwasserfluoridgehalt in den USA liegt dabei etwa bei 1mg/L und auch höher (2).

Bei Fluorid macht wahrlich die Dosis das Gift: Während geringe Dosen völlig unbedenklich sind, sieht es bei hohen Dosen schon anders aus. Die wahrscheinlich toxische Dosis von Fluorid liegt bei 5mg/kg Körpergewicht und löst erste Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall hervor. Eine wahrscheinliche Todesfolge wird bei Einnahme von 16mg/kg Körpergewicht angenommen (3).

Fluoride wirken am besten auf dem Zahn

Fluoride wirken am besten lokal appliziert auf der Zahnoberfläche:

  1. Es entsteht eine schützende Calciumfluoriddeckschicht auf der Zahnoberfläche schon ab Konzentrationen von 10ppm (4).
  2. Bei Säureangriffen kann Fluorid in den Zahnschmelz diffundieren und dort die OH-Gruppen ersetzten, wodurch das säureresistentere Fluorapatit entsteht (2, 4).
  3. Fluorid beeinflusst die in der Mundhöhle befindlichen Mikroorganismen, z. B. produziert der kariogene mutans in Anwesenheit von Fluorid weniger Säure (4).
  4. Ein antibakterieller Effekt der Fluoride ist bekannt – es ist jedoch unklar, ob die in der Mundhöhle möglichen Fluoridkonzentrationen dafür ausreichend sind (6, 7).

Kinderzahnpflege – auf die richtige Dosierung kommt es an

Auf dem Markt erhältliche Kinderzahnpasten enthalten altersgerechte Fluoridkonzentrationen, auch die verwendete Zahnpastamenge spielt eine Rolle. Die Fluoridierungsleitlinie der DGZMK zeigt auf, wie Kariesprophylaxe im Kindesalter geht:

sabine_ubani_web

Autorin: Mag. Sabine Remmel, Dental Science Liaison Manager der Colgate Palmolive GmbH

Foto ©privat

Abnahme der mentalen Karies, dargestellt am durchschnittlichen DMFT-Wert be Schweizer Kindern seit 1964.

Zur Vergrößerung auf Grafik klicken.

Fakt ist: Der Körper behält sich nur die Menge an Fluorid, die er braucht und scheidet den Rest wieder aus.

Foto ©fotolia.com, Oksana Kazima

Oh nein, Zahnpasta verschluckt! Wie schlimm ist das?

Mit der Zahnpasta verschlucktes Fluorid wird hauptsächlich im Gastrointestinaltrakt resorbiert. Nach der Resorption erreicht der Plasmafluoridgehalt nach ca. 20-60 Minuten einen Spitzenwert. Der Körper baut einen Teil des Fluorids vor allen in Knochen, Zähne und Fingernägel ein (3). Bei Säuglingen werden ca. 90% des aufgenommenen Fluorids in den Knochen eingelagert, bei Kindern ca. 50% und im Erwachsenenalter nur noch etwa 10% (2). Fluoridgegner argumentieren hier, Fluorid würde sich im Körper anreichern und ihn dadurch vergiften. Fakt ist aber: Der Körper behält zurück was er braucht und scheidet das restliche Fluorid wieder aus.

Fluoride spielen während der Amelogenese eine Rolle

Früher wurde allgemein angenommen, dass Fluorid schon während der Amelogenese (Schmelzreife) systemisch vorhanden sein müsste, um widerstandsfähigeren Zahnschmelz entwickeln zu können. Dies stimmt nur bedingt: Die Anwesenheit von Fluorid fördert zwar die Bildung von Zahnschmelz, indem es die  Apatitkristalle vergrößert und das Wachstum der Apatitkristalle verbessert. Zu viele Fluoride können die Amelogenese jedoch stören, indem das Protein Amelogenin während der Schmelzreife zu spät gespalten bzw. entfernt wird (8 , wodurch hypo- und hypermineralisierte Bereiche im Schmelz und Dentin entstehen (5).

Dentalfluorose – wie hoch ist das Risiko?

Die Schmelzreife dauert von der 13.-14. Fetalwoche bis zum 8. Lebensjahr (2). Chronisch überhöhte Fluoriddosen (> 2mg/Tag) können zu einer Dental- oder Schmelzfluorose führen. Das „gefährlichste“ Alter dafür liegt bei Buben bei 15-24 Lebensmonaten und bei Mädchen bei 21-30 Monaten (8), bis zum Alter von etwa 6 Jahren kann eine Dentalfluorose im sichtbaren Bereich entwickelt werden (17). Die Fluorose zeigt sich durch weiße Flecken oder Linien an den bleibenden Zähnen (2). Sie kann je nach Ausprägung von feinen weißen Linien bis zu massiven Defekten mit Substanzverlust in der Schmelzoberfläche führen (5) .

Als Nebenwirkung einer chronischen Überdosierung mit sehr hohen Mengen von Fluorid im Trinkwasser (20-60mg/L) kann eine Knochenfluorose auftreten. In mitteleuropäischen Breiten ist diese nicht zu erzielen. Dabei kommt es zu schweren, irreversiblen Knochenschädigungen mit gesteigerter Knochendicke vor allem in langen Knochen und zur Verkalkung verschiedener Bänder und Muskeln bis zur Verengung von Nervendurchtrittsstellen (2, 3).

Kritiker überzeugen – ist das überhaupt möglich?

Fluorid wurde seit Anbeginn der Fluoridierung verdächtigt, Verursacher bestimmter Erkrankungen zu sein. Beispielsweise wurde es mit Arterienverkalkung, Herz- und Kreislauferkrankungen, Rheuma, Konzentrationsschwäche, verminderter Intelligenz und anderen Leiden in Verbindung gebracht. Studien konnten dies bislang jedoch nicht bestätigen (16). Belegte Nebenwirkungen einer chronischen Fluoridüberdosierung treten ausschließlich in Gebieten mit sehr hohen Trinkwasserfluoridkonzentrationen (> 4mg/L) auf, in unseren Breitengraden ist als einzige Nebenwirkung von Fluorid die (milde) Dentalfluorose relevant.

Dennoch halten sich die Überzeugungen hartnäckig, dass Fluorid unserer Gesundheit schade (1). Dass Fluorid aber allgegenwärtig vorhanden ist und hauptsächlich über unser Trinkwasser aufgenommen wird, wird gerne außen vor gelassen. Warum aber halten Patienten an dem Glauben fest, Fluoride würden ihre Gesundheit zerstören?

Tobias Jaecker, Journalist und Buchautor und Experte für Verschwörungstheorien, sagt: „[…] Verschwörungstheorien mit Argumenten widerlegen zu wollen, ist in der Regel zwecklos – Verschwörungstheoretiker fühlen sich dadurch in ihren kruden Theorien meist nur noch mehr bestätigt(14). Der Hintergrund ist der: Menschen suchen einfache Antworten auf komplexe Fragen in einer sehr komplexen Welt, und Verschwörungstheorien – wozu sich auch die Fluoriddebatte zählen darf – liefern diese. Tatsächlich ist fraglich, ob es möglich ist, einen überzeugten Fluoridgegner, der 100 Minuten Internetrecherche mehr Glauben schenkt als 100 Jahren Forschung, von der Unbedenklichkeit fluoridierter Zahnpasta und Co. zu überzeugen.

Klar bleibt dennoch:

  • Die Einführung von fluoridhaltiger Zahnpasta hatte einen immensen Rückgang von Karies bei Kindern und Jugendlichen zur Folge – siehe Abbildung 2 [hier bitte auf unten stehende Abbildung hinweisen]
  • Lokal appliziertes Fluorid hat nachgewiesenermaßen die größte kariesprotektive Wirkung
  • Fachgesellschaften weltweit geben klare Anweisungen zur sicheren Anwendung von Zahnpflegeprodukten
  • Fluoride sind ubiquitär – einfach überall! – vorhanden und ihre Wirkung ist immer dosisabhängig.

Die Fluoriddebatte stammt vermutlich aus Ländern mit sehr hohen Trinkwasserfluoridkonzentrationen aufgrund künstlicher Fluoridierung, zum Beispiel den USA, wo diese je nach Gebiet mehr als 4mg/L betragen können. Bei diesen Konzentrationen sind nachgewiesenermaßen Nebenwirkungen möglich und diese künstliche Fluoridierung hat – aufgrund der flächendeckend erhältlichen fluoridierten Zahnpflegeprodukte – ihren Stellenwert als geeignetste Methode zur Kariesreduktion zugegebenermaßen eingebüßt. Insofern hat die Fragestellung, ob Trinkwasserfluoridierung in diesen Gebieten immer noch sinnvoll ist, ihre Berechtigung.

Indiskutabel aber ist, ob fluoridierte Zahnpflegeprodukte verwendet werden sollen oder nicht. Fluoride sind ein fester Bestandteil der Kariesprophylaxe und werden dies auch in absehbarer Zukunft bleiben.

 

Literaturliste