Parodontales Risikomanagement
Parodontitis basiert auf einem multifaktoriellen Geschehen, das in einer sensitiven Balance steht. Viele Patienten sind sich gar nicht bewusst, dass in ihrer Mundhöhle ein Kampf auf mikrobiologischer Ebene um „Sieg“ oder „Niederlage“ ausgetragen wird. Durch die Verschiebung des Gleichgewichts des bakteriellen Biofilms, wird das Fortschreiten der Erkrankung wesentlich beeinflusst. Weiters ist bekannt, dass es sich bei der Parodontitis um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Risikofaktoren wie Stress, Rauchen oder Diabetes mellitus haben eine negative Auswirkung auf den Heilungsprozess. Das Krankheitsrisiko kann durch eine gute Immunabwehr, eine professionelle Mundhygiene sowie einem engmaschigen Recall eingedämmt werden.
Ob die Krankheit weiter fortschreitet, aufgehalten wird oder sogar die Heilung eintritt, liegt im Wesentlichen an der Compliance (d. h. Mitarbeit) des Patienten. Eine ausführliche Aufklärung über das Krankheitsgeschehen, die optimierte Instruktion und Motivation des Patienten zur Steigerung der Eigenverantwortung sind daher entscheidend, wohin die Reise geht. Von Seite des zahnärztlichen Teams ist die Früherkennung, die richtige Diagnostik und eine einfühlsame und verständliche Patientenführung wichtig. Beides zusammen bringt uns hoffentlich die gehisste „weiße“ Friedensfahne!
Bis zu 70 % sind betroffen
Ca. 50 % der 35- bis 45-Jährigen leiden an einer mittelschweren und rund 20 % an einer schweren parodontalen Erkrankung bzw. benötigen eine umfangreiche parodontale Behandlung. Der hohe Anteil macht uns deutlich, dass Gingivitis und Parodontitis in der Erwachsenenbevölkerung sehr verbreitet ist. Mit steigendem Alter nimmt das Erkrankungsrisiko zu. Dies resultiert daraus, dass die Erwachsenen in der heutigen Zeit deutlich weniger Zähne durch Karies verlieren; aber dadurch ein erhöhtes Risiko an Parodontitis zu erkranken mit sich bringt. Jedoch sind Gingivitis und Paradontitis keineswegs schicksalhafte Folgen des Älterwerdens.
Durch Schaffung mundgesunder Verhältnisse kann das allgemeine Gesundheitsrisiko verringert werden. Nach heutigen Kenntnissen stehen nicht behandelte Parodontalerkrankungen in vielfältigen Wechselbeziehungen zur Allgemeingesundheit. Dies ist seit Langem beim Diabetes mellitus bekannt. Des Weiteren belegen epidemiologische und klinische Studien die Assoziation mit einer Vielzahl verschiedener Allgemeinerkrankungen wie koronaren Herzerkrankungen (Herzinfarkt und Schlaganfall), Arteriosklerose, rheumatoider Arthritis, wie auch einem erhöhten Risiko für Früh- und Fehlgeburten. Um den Schaden und dessen irreversible Folgen zu minimieren, ist eine frühzeitige Erkennung und eine adäquate Diagnostik durch Erfassung parodontaler Parameter erforderlich.
Mit dem richtigen Konzept zum Erfolg
Parodontales Risikomanagement ist ein systematischer Prozess, der mit einer umfassenden Anamnese beginnt, mit dem die allgemeingesundheitlichen Beschwerden, Medikationen, die persönlichen und familiären/genetischen Dispositionen wie Allergien, Unverträglichkeiten, Vorerkrankungen evaluiert und dokumentiert werden. Auch das Rauchen und Lebensgewohnheiten (Beruf, Familienstand etc.) sind von Bedeutung.
Im Rahmen der Befunderhebung wird der parodontale Status des Patienten erfasst. Sowohl die klinischen Parameter und die individuellen Risikofaktoren bilden dabei die Grundlage für die individuelle Risikoeinschätzung des Patienten. Dies ist dann die Basis für die individuelle Konzepterstellung des Therapieplanes.
Neben den zahnbezogenen (Furkationsbeteiligung, iatrogene Faktoren, partielle Attachmentverluste) und stellenbezogenen Faktoren (PGU, STI, PI, AL und subgingivale Mikroflora) sind die patienten-bezogenen Faktoren von hoher Bedeutung:
• BOP (bleeding on probing): Erhoben wird der Anteil jener Stellen in Prozent, die bei der Sondierung des Sulkusbodens geblutet haben (sechs Messpunkte pro Zahn, einmal pro Jahr). Dieser Wert ist ein Maß für die subgingivale Entzündung. Zu beachten: Nikotinkonsum vermindert die Blutungsneigung signifikant.
• Gesamtzahl der residualen Taschen (Sondierungstiefe > 5 mm): Pathologisch vertiefte
Zahnfleischtaschen weisen auf eine subgingivale Entzündung hin.
• Knochenabbau/Zahnverlust bzw. Knochenabbau in Relation zum Zahnverlust
• Gesundheitliche Verhältnisse und Patientenverhalten: Rauchen / Nikotin ist der stärkste Risikofaktor für Parodontitis
• Systemische/genetische Faktoren: Autoimmunerkrankungen, Leukämie, Diabetes, Candidiasis, Herpesviruserkrankungen, familiäre Neutropenie, Interleukin-1-Polymorphismuskomplex
• Medikamente: Antiepileptika, Immunsuppressiva, Kalziumantagonisten
• Patientencompliance: Das Vorkommen von Plaque ist zwar kein gesonderter
Risikofaktor, lässt jedoch Rückschlüsse auf die Compliance des Patienten zu, weshalb in diesem Fall regelmäßig Indizes (API/SBI) erhoben werden sollten.
• Diabetes: Parodontitis und Diabetes sind chronische Erkrankungen, die in einer Beziehung stehen. Diabetes mellitus begünstigt Entstehung, Progression und Schweregrad der parodontalen Erkrankung. Die Parodontitis wiederum erschwert die glykämische Kontrolle des Diabetes und erhöht das Risiko diabetesbezogener Komplikationen.
Der Patient sollte anhand dieser Kriterien in drei Risikogruppen unterteilt werden: niedriges, mittleres und hohes Risiko. Daraus lassen sich Empfehlungen für individuelle Recallfrequenzen und Therapiemaßnahmen ableiten
• niedriges Risiko (Recall 1-mal jährlich)
• mittleres Risiko (Recall 2-mal jährlich)
• hohes Risiko (Recall 3- bis 4-mal jährlich)
Den 1-mal-Jährlichen sollte auf diesem Wege ein neuer Befund zur Risikoeinstufung erstellt werden.
Anhand der jährlichen Risikoeinstufungen und deren Veränderungen können Krankheitsverlauf und Behandlungserfolg immer wieder neu beurteilt werden und Behandlungsschritte und Maßnahmen zur Verbesserung der Patientenmitarbeit sowie Recallabstände individuell angepasst werden.
Wie sage ich es meinem Patienten?
Nur ein gut aufgeklärter und überzeugter Patient, der seine parodontale Situation und die Konsequenzen daraus versteht und diese auch akzeptiert, wird kontinuierlich an seinem persönlichen parodontalen „Frieden“ arbeiten. Eine Visualisierung der erfassten Befunde durch gemeinsames Besprechen der Röntgenbilder, der Indizes und des damit verbundenen parodontalen Risikos sind dabei von Vorteil.
Resümee
Ein konsequent durchgeführtes Risikomanagement ist das Fundament für eine frühzeitige Beurteilung parodontaler Erkrankungen und dient zur Sicherung des Therapieerfolges. Auf dieser Grundlage können individuelle Behandlungskonzepte umgesetzt werden, die dem parodontal erkrankten Patienten die langfristigen Erhaltung seiner Zähne und den Schutz seiner Allgemeingesundheit ermöglicht. Dabei ist es wichtig, den Patienten über seine Erkrankung und deren Verlauf aufzuklären und ihm seine Eigenverantwortung sowie den gemeinsamen Weg einer erfolgreichen Therapie aufzuzeigen, um gemeinsam den „totalen parodontalen Frieden“ zu erreichen.
Autorin:
Barbara Bergmann
Prophylaxeassistentin in Wien
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