Gendermedizin: warum Medizin für Frauen und Männer gleichberechtigt, aber nicht gleich sein sollte
Genderunterschiede – Bild: contrastwerkstatt / AdobeStock.com
Das Forschungsgebiet der Gendermedizin entstand in den 1980er Jahren in den USA und kam unter dem Begriff Frauengesundheitsforschung zur Jahrtausendwende nach Europa.
Gendermedizin beschäftigt sich mit den biologischen, aber auch den psychosozialen Unterschieden zwischen Männern und Frauen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit. Hierbei spielen Gene und Hormone genauso eine Rolle wie unterschiedliche, von Erziehung, Gesellschaft und Rollenbildern geprägte Erfahrungen.
Frauen und Männer unterschieden sich durch die Geschlechtschromosomen X und Y. So gibt es auf dem X-Chromosom wesentlich mehr Gene als auf dem Y-Chromosom. Gene steuern auch Hormone. Diese wiederum beeinflussen viele Abläufe im Körper und beeinflussen auch die Effizienz unseres Immunsystems. So spielen sie eine entscheidende Rolle bei entzündlichen Prozessen.
Frauen haben morphologisch gesehen weniger Muskelmasse, dafür aber mehr Fettgewebe. Unabhängig davon, wie viele Kilos die Waage anzeigt. Dies ist vor allem für die Wirksamkeit, Speicherung und Verträglichkeit von Arzneimitteln von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Fettlösliche Arzneimittel werden dementsprechend von Frauen besser gespeichert als von Männern und häufen sich daher leichter im Körper an. Östrogene beeinflussen überdies auch den Stoffwechsel von Arzneimitteln. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind bei Frauen leider dadurch häufiger als bei Männern. Vor allem Herz-Kreislaufmedikamente wie Ace – Hemmer, Diuretika, oder Betablocker werden für Frauen oft falsch oder zu hoch dosiert, sodass es häufiger zu Nebenwirkungen kommt.
Östrogen und Progesteron hemmen die Beweglichkeit des Darms und verlängern die Magen-Darm-Passage, was die Aufnahme von Medikamenten ins Blut beeinflusst. Auch Medikamente, die über die Niere wieder ausgeschieden werden, sind oft für Frauen problematischer, da sie von Natur aus mit weniger Nierenkörperchen auf die Welt kommen. Bei klinische Arzneimittelstudien, die strengen Regeln unterliegen, sind Frauen aus unterschiedlichsten Gründen nicht so häufig vertreten, wie Männer. Sei es aufgrund möglicher Schwangerschaften oder Vorkommnisse wie dem Contergan Skandal in den 1960er Jahren.
Die Symptome eines Herzinfarktes zeigen sich bei Frauen und Männern oft auf unterschiedliche Weise. So haben Frauen oft unspezifischer Beschwerden, wie Übelkeit, Bauchschmerzen oder Schmerzen im Unterkiefer. Der typische ausstrahlende Brustschmerz in den linken Arm, so wie es bei Männern der Fall ist, bleibt oft aus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Erkrankungen ohne gendermedizinisches Wissen oft gar nicht oder zu spät erkannt werden.
An Schilddrüsenerkrankungen wie die häufig vorkommende Hashimoto-Thyreoiditis leiden überwiegend Frauen. Ein möglicher Zusammenhang ist ein komplexes Zusammenspiel und eine Wechselbeziehung zwischen den weiblichen Sexualhormonen und Schilddrüsenhormonen.
Frauen vertragen erwiesenerweise auch deutlich weniger Alkohol, da ihre Leberenzyme weniger tatkräftig sind als die der Männer. Auch die Lunge reagiert empfindlicher auf Schadstoffe wie z.B durch das Rauchen. Das kann daran liegen, dass die Lungen und das Herzvolumen bei Frauen im Durchschnitt geringer ist.
Obwohl Erziehung und Rollenbilder sich im Laufe der Jahrzehnte geändert und verbessert haben, sind die unterschiedlichen Erwartungen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten der Geschlechter nach wie vor vorhanden. Sei es beim Verdienst, der Kindererziehung, der Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger oder die allgemeine Vorstellung wie sozial man in der Gesellschaft agieren sollte. Da Gesundheit und Krankheit immer auch von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst werden, sind Frauen und Mädchen auch heute noch häufiger im Nachteil – und das ist wissenschaftlich gut belegt.
Unterschiede zeigen sich auch bei den meist nach innen gerichteten Symptomen der Stressverarbeitung durch vermehrten Bruxismus, bei Aggressionen durch mehr Selbstverletzungen oder die Häufigkeit an Depressionen.
Genderaspekt in der Zahnmedizin
Auch für die zahnmedizinische Versorgung sollte man relevante Genderaspekte nicht unberücksichtigt lassen. Wie eingangs erwähnt haben vor allem die weiblichen Sexualhormone (Estrogene) Einfluss auf unser Immunsystem und auf Entzündungsreaktionen. Ob es sich dabei um einen immunsuppressiven oder immunstimulierenden Einfluss handelt, hängt unter anderem vom weiblichen Zyklus, Pubertät, Schwangerschaft oder der Menopause ab. In diesen Phasen der hormonellen Umstellungen kommt es zu einem Ungleichgewicht der Hormone. Sowohl ein Überschuss als auch Defizite weiblicher Sexualhormone, wie z.B dem Östrogen, schränken den Körper ein, sich gegen Entzündungen zu wehren.
Unser Knochenstoffwechsel und der Erhalt der Knochenmasse stehen im Zusammenhang mit den Hormonen. So sind die wesentlichen Risikofaktoren an einer Osteoporose zu erkranken, das weibliche Geschlecht und die Menopause. Studien bestätigen einen Zusammenhang zwischen Osteoporose, Parodontitis, Periimplantitis und somit einem erhöhten Risiko für Zahnverlust. Das könnte auch daran liegen, dass weibliche Steroidhormone im Verdacht stehen, die humorale Immunantwort zu verstärken. An Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen und konkret an Mundschleimerkrankungen wie dem Lichen Planus oder Lupus erythematodes erkranken Frauen signifikant häufiger, als Männer es tun. Bei Mädchen findet der Zahnwechsel früher statt. So haben schädliche Einflüsse länger Zeit an bleibenden Zähnen Schaden anzurichten.
Studien, die sich mit geschlechtersensiblen Unterschieden beschäftigen zeigen auch, dass Frauen Schmerzen öfter falsch lokalisieren und einordnen können. Männer ordnen den Ursprung der Schmerzen oft viel deutlicher und konkreter ein. Daher ist es kein Wunder, dass sich dadurch die Diagnostik und Therapieentscheidung bei Frauen schwieriger gestalten kann.
Präventive Maßnahmen für Zähne
Umfragen (deutsches Meinungsinstitut forsa) in Österreich und Deutschland sowie Statistiken von deutschen Gesundheitskassen haben ergeben, dass Frauen öfters zum Zahnarzt gehen, ihre Zähne genauer putzen und öfters die Zahnzwischenräume reinigen als Männer. Auch bei der Regelmäßigkeit und Durchführung der professionellen Zahnreinigung liegen die Frauen vorne.
Da auch die Ernährung einen wesentlichen Beitrag zur Mundgesundheit leistet, sollte man auch diesen Aspekt nicht unberücksichtigt lassen. Mit Gender Food-dem geschlechtsbezogenem Essen haben sich die deutsche und österreichische Gesellschaft für Ernährung auseinandergesetzt.
Untersuchungen haben ergeben, dass Männer durchschnittlich mehr Lebensmittel essen und sie konsumieren doppelt so viel Fleisch und Wurstwaren. Männer sind seltener Vegetarier und essen absolut gesehen weniger pflanzliche Lebensmittel. Interessanterweise verzehren Männer mehr Milchprodukte als Frauen. Bei Obst wiederum liegen die Frauen vorne. Keine signifikanten Unterschiede konnte beim Konsum von Gemüse, Brot und Getreideprodukte festgestellt werden.
Die Schwäche der Frauen ist zu viel Süßes. In diesem Punkt liegen sie eindeutig vor den Männern. Aufgrund der oft deutlichen Unterschiede im Konsumverhalten wollen Produktentwickler für Nahrungsmittel in Zukunft vermehrt auf typisch männliche und typisch weibliche Produkte setzen.
Vorsichtig vor Verallgemeinerungen und Schubladendenken
Statistische Unterschiede zwischen Frauen und Männer sind zwar für die Wissenschaft, Forschung und Gesundheitsvorsorge wichtig, müssen aber auf die Einzelperson nicht immer zutreffen. Körperliche und psychosoziale Unterschiede darf man auch nicht mit „besser“ oder „schlechter“, überlegen oder unterlegen verwechseln oder gleichsetzen. Nur wenn bewusst ist, dass uns die Natur einfach anders und vielfältig beschaffen hat und wir die Genderaspekte erkennen und unser Wissen erweitern, können wir zu einer Verbesserung der medizinischen Versorgung und der Lebensqualität beitragen.
(Quellen):
• Bundesanstalt Statistik Austria(online)
• Zwp online,23.04.2018
• Gender Dentistry, Margit-Ann Geibel et.al, lehmanns media,2021
• Gendermedizin, Vera Regitz-Zagrosek, Stefanie Schmid-Altringer, scorpio,2020
• Gendermedizin: Prävention, Diagnose, Therapie, Alexandra Kautzky Willer, Böhler UTB, 2017
• Frauen sind anders krank, Männer auch, Marek Glezerman, Mosaik, 2018
• Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V, Ernährungsphysiologische Differenzen zwischen Mann und Frau (Online-Artikel),2019
• Ernährungsunterschiede bei Frauen und Männern, Monika Schreiner
• Die Österreicher und das Zähneputzen, SN- Online, 2018
Elisabeth Kalczyk, BA
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