Wer hat Angst vor dem Zahnarzt?
Bis zu sechzig Prozent der Bevölkerung geben in Befragungen an, unter Zahnarztangst zu leiden [8]. Zwölf Prozent, das heißt rund zehn Millionen Menschen in Deutschland, sagen sogar, sie hätten „sehr große Angst“ – und das quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Viele glauben allerdings, sie seien mit diesem Problem allein und verspüren daher große Scham, so Dr. Christian Bittner (Salzgitter-Bad) in seinem Vortrag zur Begleitung von Angstpatienten in der Zahnarztpraxis. Eine sinnvolle Reaktion des Praxisteams darauf ist, nach Ansicht des Experten, der Situation das Besondere zu nehmen und den Patienten und die Patientin das Gefühl zu geben, ihre Angst sei etwas Alltägliches. Auch die Lenkung der Aufmerksamkeit ist eine besondere Herausforderung: Sätze wie „Haben Sie keine Angst“ oder „Es tut nicht weh“ führen bei den Adressaten meist genau zum Gegenteil.
Angst vor fehlender Information
Neben Angst vor Kontrollverlust oder Schmerzen richtet sich das Unbehagen der Menschen in der Zahnarztpraxis in der Mehrheit der Fälle auf einen bestimmten Faktor: die Angst vor fehlender Information. Das bedeutet für das zahnärztliche Team im Umkehrschluss, die einzelnen Schritte der Behandlung möglichst sachlich, verständlich und detailliert zu erklären. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Optionen, um den Menschen ihre Angst zu nehmen oder zumindest zu reduzieren. Neben medikamentöser Begleitung können auch alternative Ansätze wie Hypnose, Klopftechniken, autogenes Training oder Kopfhörer mit Musik eingesetzt werden. Auf die Frage, wie das zahnärztliche Team sie am besten unterstützen kann, antworten laut Bittner die meisten Angstgeplagten übrigens mit der „Holzhammermethode“. Das heißt, sie wünschen sich eine gute Sedierung bzw. Narkose, um möglichst wenig von der Behandlung mitzubekommen.
Interview mit Dr. Christian Bittner
Sehen Sie es einem Menschen, der in Ihre Praxis kommt, eigentlich schon von Weitem an, dass er Angst hat?
Von Weiten nicht, aber über die Wahrnehmung der Körpersprache lässt sich schon einiges ablesen. Kenne ich den Patienten, so fällt jede Veränderung auf. Zum Beispiel, ein eher ruhiger Mensch neigt dann dazu mehr zu reden. Umgekehrt ist ein Patient sonst gesprächig und verhält sich vor der Behandlung still, lässt dies Rückschlüsse zu. Kurzum, jede Veränderung im Verhalten deuten auf eine gewisse Angespanntheit hin. Dazu kommen physiologische Merkmale wie erhöhter Blutdruck, Puls, Atemfrequenz oder kalter Schweiß. Eine typische Frage in solchen Fällen wäre beispielsweise „bekomme ich denn auch eine Betäubung?“.
Wie gehen Sie um mit Personen, die von Angst geplagt sind? Sätze wie „keine Angst, es tut nicht weh“ helfen ja nicht wirklich weiter. Was sagen oder tun Sie?
Ganz genau, Sätze wie „Sie brauchen keine Angst zu haben“ oder „Bitte jetzt nicht schlucken“ helfen nicht weiter. Am wichtigsten ist eine Grundhaltung, die lautet: dem Patienten verständnis- und respektvoll gegenüber zu treten. Im Allgemeinen versuche ich die eigenen Ressourcen zu erfassen und lösungsorientiert zu handeln. Mit „was kann ich für sie tun“ suggeriere ich eine Dienstleistung, aber der Patient muss mitwirken. Viele besser ist daher zu fragen „womit kann ich behilflich sein?“, denn damit bringe ich zum Ausdruck, dass der Patient aktiv wird und den eigenen Bedarf verbalisieren muss. Er ist Teil des Prozesses, der am Ende gesund macht. Jeder kennt den Vergleich „denken Sie nicht an den rosa Elefanten“ und weiß, dass das so nicht funktioniert. Daher, negationsfreie Sätze und eine lösungsorientierte Sprache helfen deutlich mehr. Z.B. „Freuen sie sich schon mal, wie schön sie dann aussehen werden“ und „wie gut es ihnen dann geht“.
Haben Sie ein paar Tipps für unser Leserinnen und Leser, wie sie Angstpatienten unterstützen können, die Angespanntheit während der Behandlung abzubauen?
- Ganz wichtig erscheint mit eine authentisches Verhalten. Nicht gestelzt mit dem Patienten reden. Überheblichkeit und Arroganz wiedersprechen jedem Vertrauensverhältnis. Dazu stehen, wenn einmal etwas nicht „so super gelaufen ist“.
- Das Arbeitsumfeld gestalten: Arbeitsmaterial wie der Kürettensatz oder Spritze müssen nicht offen rumliegen. Angstpatienten neigen dazu, vieles auf sich beziehen und fühlen sich dann alleine gelassen.
- Ein freundlich gestalteter Raum. Schöne Wandbilder, schemenhafte Aufbereitung von Themenfeldern, an denen man Dinge erklären kann.
- Stichwort unangenehme Gerüche. Der Geruchssinn ist jener, der am meisten problematisiert. Denn olfaktorische Reize wirken emotionsauslösend. Alles was nach zahnärztlicher Praxis riecht, soll und kann aus der Praxis verbannt werden. Instrumente, stark riechende Medikamente… also gleich raus aus der Praxis. Dazu hilft schon öfter mal Lüften oder vielleicht eine Duftkerze anwenden.
Wie steht es mit Kindern, die Angst haben? Und wie gehen Sie mit den Begleitpersonen um?
Manchmal rufen mich Eltern an und schildern ihre bisherigen Erfahrungen so „mein Kinder waren schon bei so vielen Zahnärzten“ „jedes Mal war es ein Desaster“ „mein Kind hat den Mund nicht aufgemacht, hat zu weinen begonnen“. Ich fragen dann „Wie ist das abgelaufen?“ und stelle oft fest, dass Eltern von ängstlichen Kinder auch Angst haben und diese Angst sich überträgt. Wenn jemand zu mir kommt, ist eine – wie vorher schon erwähnt – respekt- und vertrauensvolles Begegnung vorgegeben. Ich erwarte allerdings auch die Möglichkeit, das Vertrauen rechtfertigen zu können. Ein Kind ab drei Jahren ist durchaus in der Lage, sich verbal zu äußern. Die Eltern müssen also im Behandlungszimmer nicht dabei sein. Wenn Eltern Fragen haben, kann das vorher und nachher passieren. Das bekommen Eltern von vornherein so gesagt.
Gibt es einen Ratschlag aus Ihrer langjährigen Praxis, damit es erst gar nicht so weit kommt? Welchen Beitrag kann das zahnärztliche Team leisten, damit Menschen erst gar keine, oder zumindest weniger Angst, vor dem Ordinationsbesuch haben?
Angst ist ein subjektives Empfinden. In vielen Praxen, werden die Patienten als schwierig eingestuft. Dann ist so eine Situation stressbeladen, unangenehm und das zeige ich. Besser wäre es, von interessanten Patienten zu reden und ergebnisoffen in die Behandlung zu gehen: „Womit kann ich heute behilflich sein?“
Hand auf´s Herz: hatten Sie als Kind oder Jugendlicher jemals Angst vor dem Zahnarzt?
Nein, Angst hatte ich nie.
Dr. Christian Bittner beim CP Gaba Symposium im September 2019 in Köln
© : Alexander Böhle / CP GABA
You must be logged in to post a comment.