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Verdacht auf Bulimie-Erkrankung: “Ansprechen ist besser als Schweigen!”

By: | Tags: , , , , , , , | Comments: 0 | April 12th, 2018

Typische Zahnerosionen lassen Rückschlüsse auf eine Bulimie-Erkrankung zu. Welche Anzeichen deuten noch darauf hin? Was tun, wenn der Verdacht besteht? Und wie kann das zahnärztliche Personal Betroffenen weiterhelfen? Antworten dazu gibt Dr. Jörg Auer, Leiter der Psychosomatischen Tagesklinik am Neuromed Campus des Kepler-Universitätsklinikums Linz.

Herr Dr. Auer, wie oft kommt es vor, dass Patientinnen, Patienten mit Bulimie zu Ihnen kommen, die aus einer Zahnarztpraxis überwiesen werden?

Der Anteil an männlichen Patienten ist verschwindend gering – in manchen Studien wird er mit 0% beziffert. Es ist also durchaus angebracht, im Folgenden von Patientinnen zu sprechen.

Ich habe so gut wie nie eine Patientin aus einer Zahnarzt-Praxis überwiesen bekommen – es läuft eher umgekehrt: Wir überweisen Patientinnen mit Zahnschäden zum Zahnarzt. Das liegt einerseits daran, dass Patientinnen mit Bulimie und schlechtem Zahnstatus oft keine Zahnarztpraxis aufsuchen. Andererseits herrscht in den Ordinationen oft Unsicherheit, wie man das Problem ansprechen soll.

Welche Anzeichen – abgesehen von typischen Zahnerosionen – deuten auf eine Bulimie-Erkrankung hin?

Bulimie-Patientinnen achten sehr auf ihr Äußeres. Meist sind sie normalgewichtig, gepflegt, im Leben stehend … es ist schwer zu erkennen, dass sie Hilfe brauchen. Darauf hindeuten können volle Wangen, die auf eine Schwellung der Speicheldrüsen zurückzuführen sind, manchmal führen Mangelerscheinungen zu brüchigen Nägeln oder Haarausfall. Manchmal kommt es zu Hautveränderungen am Handrücken, die auftreten, wenn das Erbrechen mit dem Finger herbeigeführt wird…

Diese Ess-Brech-Anfälle, wie kann man sich die vorstellen?

Meist passieren sie heimlich, wenn niemand zu Hause ist oder nachts. Oft wird ein Vielfaches einer normalen Mahlzeit verschlungen: Eine Fertigpizza, mehrere Krapfen, ein Fertigpudding, eine Packung Chips, …. bis zu 10.000 Kcal auf einmal! Sehr oft sind es Fertigprodukte, weil diese rasch verfügbar sind. Anschließend wird das Erbrechen herbeigeführt, dann beginnt der Kreislauf von Neuem. Das kann sich über mehrere Stunden hinziehen …

…wie kommt es zu diesem Verhalten?

Meist sind die Betroffenen sehr perfektionistisch, leistungsbereit, beruflich engagiert, achten auf ihr Äußeres. Dahinter steckt oft eine große Unsicherheit zu sich selbst, starke Stimmungsschwankungen. In Situation der äußeren oder inneren Anspannung, oder wenn ein Gefühl der inneren Leere auftritt, verschaffen die Essanfälle anfangs Erleichterung, sie beruhigen. In weiterer Folge kommt es zu einem unangenehmen bis schmerzhaften Völlegefühl, Scham, Angst vor Gewichtszunahme, die wiederum zum Erbrechen führen. Die nachfolgende Erleichterung geht allerdings bald wieder über in ein Gefühl der Scham darüber, sich selbst Schaden zuzufügen. Das Gefühl, es sei nun „eh schon alles egal“ führt dann fallweise zur mehrfachen Wiederholung der Ess-Brech-Attacke.

Sie sagten, dass hinter dem Perfektionismus oft große Unsicherheit steckt …

… die sich auch ausdrückt in starker Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, krankhafter Furcht, dick zu werden. Die Betroffenen betreiben oft exzessiv Sport, hungern, nehmen Abführmittel oder Diuretika. Bulimie kann schwere körperliche Folgen haben: Zyklusstörungen, Störungen des Elektrolythaushalts, was zu schweren Herzrhythmusstörungen, zum Kreislaufzusammenbruch führen kann.

Erkennen die Patientinnen selbst, dass sie Hilfe brauchen?

Das kann man nicht verallgemeinern. Oft kommen sie von selbst, wenn sie die berufliche Belastung nicht mehr aushalten, oder von der Familie, Freunden, Kollegen angesprochen werden. Oft kommt es über die Behandlung von anderen, aus der Bulimie-Erkrankung resultierenden Problemen zu einer Überweisung zu uns …

Wie kann ich in der Zahnarztpraxis den Patientinnen helfen?

Ansprechen ist besser als Schweigen! Fragen Sie nach, drücken Sie Ihre Sorge aus, äußern Sie aber keine Vorwürfe oder Herabsetzungen. Es bringt auch nichts, Kontrolle ausüben zu wollen: Die Patientin bitte nur dann wieder bestellen, wenn das aus zahnmedizinischer Sicht indiziert ist. Gesundwerden ist nur möglich, wenn die Betroffenen das auch wollen, wenn sie eigeninitiativ Hilfe suchen: Man kann ihnen konkrete Tipps geben, wo es Hilfe gibt, aber nicht als Helfer die Verantwortung für sie übernehmen.

 

Wenn ich aber weiß, dass die Betroffenen nicht selbst Hilfe suchen?

Wenn die Patientin erklärt, das Erbrechen komme von Magenproblemen, aber keine entsprechenden Schritte setzt, wie zum Arzt gehen, eine Gastroskopie machen: Zweifel aussprechen. Langes Nachbohren macht allerdings keinen Sinn … den meisten ist bewusst, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Eine Ausnahme gibt es selbstverständlich: Wenn die Situation lebensbedrohlich ist, weil etwa schwere Herzrhythmusstörungen auftreten oder ein Kreislaufkollaps, dann ist natürlich sofort Hilfe notwendig: der Hausarzt, in Akutsituationen die Rettung.

Essstörungen – Infos und Ansprechstellen

Grundsätzlich sind die Hausärztin, der Hausarzt sowie psychosoziale Beratungsstellen die richtigen Ansprechpartner, um weitere Hilfe vor Ort zu finden.

www.essstoerungen.at: allgemeine Informationen

Essstörungs-Hotline: 0800 – 20 11 20
kostenlos – anonym – bundesweit
Montag bis Donnerstag von 12-17 Uhr (ausgenommen Feiertage)
e-Mail-Beratung hilfe@essstoerungshotline.at

www.sowhat.at: Kompetenzzentrum für Menschen mit Essstörungen. Wien – Mödling – St. Pölten

www.gesundes-oberoesterreich.at/essstoerungen: Informationen, Beratungs- und Betreuungsangebote – Oberösterreich

www.frauengesundheitszentrum.eu/essprobleme/: Leitfaden „dick und dünn“ mit Anlaufstellen in der Steiermark zum download

www.netzwerk-essstoerungen.at: Information, Beratung – Innsbruck

Telefonhotline: +43 – (0)512 – 57 60 26 (Mo – Do, 13:00 – 18:00)

www.caritas-vorarlberg.at: Kontaktstelle für Essstörungen der Caritas Vorarlberg

www.fgz-kaernten.at: Frauengesundheitszentrum Kärnten – Infos und Kontaktstellen

www.frauengesundheitszentrum-salzburg.at/: Frauengesundheitszentrum Salzburg – Infos und Kontaktstellen

 

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OA Dr. Jörg Auer, Leiter der Psychosomatischen Tagesklinik am Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums, Linz

© Kepler Universitätsklinikum

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