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Ergonomie in der Zahnarztpraxis

By: | Tags: | Comments: 0 | Januar 31st, 2023

Bis zur Mitte des 20. Jahrhundert wurde unter Ergonomie die Ausarbeitung von Konzepten verstanden wie Arbeitnehmer effektiver und effizienter arbeiten konnten. Gesundheitsaspekte standen weniger im Vordergrund. Ab den 1960er Jahren verstand sich die Ergonomie als Wissenschaft, die zur Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens sich mit gleichzeitiger Optimierung der Arbeitsergebnisse befasste. In der Ergonomie geht es heute in erster Linie darum, die Arbeit an den Menschen anzupassen und nicht den Menschen an die Arbeit.

Die richtige Körperhaltung, Patientenlagerung, Geräte und Instrumente sind nur einige Bereiche, mit der sich die Ergonomie auseinandersetzt. Gesundheitsförderndes Freizeitverhalten und die Vermeidung von Stress sind ebenfalls Gegenstand der Ergonomie. All die Bereiche beeinflussen einerseits unser Wohlbefinden andererseits auch, ob und wie lange wir leistungsfähig, körperlich und psychisch gesund bleiben.

 

Zahlen und Fakten

Sitzen oder Stehen zählen zu den belastendsten Körperhaltungen für die Bandscheiben. Beim Sitzen werden die elastischen Bandscheiben, die als Puffer, Gelenk und zur Hemmung übermäßiger Bewegungen dienen, bis zu zehn Prozent geschrumpft. Unsere Gelenke brauchen Bewegung. Nur bei Bewegung werden sie ausreichend mit Gelenksflüssigkeit versorgt. Nicht von ungefähr heißt es „Wer rastet, der rostet“. Wirbelsäulenprobleme, Nacken und Schulterschmerzen sind häufige Leiden im zahnärztlichen Berufsumfeld.

Als Ursachen für Frührenten sind an erster Stelle psychische Erkrankungen, wie z. B Burnout und Depressionen, gefolgt von Erkrankungen des Muskel- Skelettsystems genannt. Erkrankungen des Bewegungsapparates sind auch der dritthäufigst angegebene Grund für in Anspruch genommene Krankenstandstage. Sieht man sich die Ergebnisse der Statistiken an, sollte die Ergonomie im Arbeitsalltag eine wichtigere Rolle einnehmen, als sie es aktuell tut.

 

Ergonomische Realität im Arbeitsalltag

Die Arbeit am Patienten in der Zahnarztpraxis ist geprägt von einer „Zwangshaltung“, die Körperhaltung ist meist statisch und das Arbeitsfeld ist schlecht zugänglich und nur begrenzt einsehbar. Meist wird mit gekrümmtem, seitlich verdrehtem Rücken und weit vom Körper abgespreizten Armen gearbeitet. In der zahnärztlichen Stuhlassistenz ist die eigene Arbeitsposition oft vom ergonomischen Verhalten des Behandlers mit abhängig. Wie der Patient gelagert wird, auf welche Höhe der Patientenstuhl eingestellt ist oder ob der Behandler sitzt oder steht und große Größenunterschiede zwischen Assistenz und Behandler sind Umstände, welche das ergonomische Verhalten oft nicht einfach machen.

Arbeiten während der Prophylaxe

In der Prophylaxesitzung, die meist nur von einer Person durchgeführt wird, ist das eigene Verhalten, die Ausstattung des Arbeitsplatzes sowie die Auswahl der Geräte und Instrumente essentiell. Ob wir die richtige Sitzposition einnehmen und die Behandlereinheit für uns ergonomisch optimal einstellen können, hängt letztlich auch vom Patienten ab. Wer kennt nicht diverse Kontraindikationen (Herz- Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen, Schwangerschaft im 3.Trimester) und persönliche Befindlichkeiten („mir wird so tief schwindelig“ oder „mir tut mein Kreuz in der Position weh“ usw.“), die uns an der optimalen Platzierung von Körper und Kopf des Patienten hindern. Materialien, die benötigt werden, sind nicht in Greifweite oder auffindbar. Das Telefon klingelt ständig und die Tür wird pausenlos aufgerissen, weil jemand etwas wissen will. Solche Szenarien hat wohl jeder schon einmal erlebt. Der Arbeitsablauf wird gestört und unterbrochen. Das sind Umstände, die angenehmes, störungsfreies Arbeiten nicht möglich machen und auf Dauer Körper und Psyche belasten. Solange man jung, gesund und beschwerdefrei ist, macht man sich meist keine großen Gedanken, wie es um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit in der Zukunft oder mit zunehmendem Alter bestellt ist. Jedoch stellen sich die Folgen von Fehlhaltungen sowie chronischen psychischen und körperlichen Belastungen meist erst langfristig ein.

Selbstkontrolle erforderlich

Umso wichtiger ist es, durch gelegentliche Selbstkontrolle und einzelne umsetzbare Maßnahmen das eigene Verhalten und beeinflussbare Arbeitsbedingungen zu verbessern, um aktiv zur eigenen Gesundheit und Wohlbefinden beizutragen. Aktives Sitzen, mit aufgerichteten Becken und Oberkörper, überlastet die Wirbelsäule zwar nicht, ist mit der Zeit aber auch anstrengend, da man dafür eine gewisse Muskelspannung aufrechterhalten muss. Beim passiven Sitzen, mit rundem Rücken und hängenden Schultern ermüdet man zwar nicht so schnell, aber die Bandscheiben werden massiv überlastet.

Bei der idealen Sitzposition, wie sie in Literatur beschrieben wird, sollte der Winkel zwischen Oberschenkel und Unterschenkel 110 Grad betragen. Die Unterschenkel muss senkrecht und die Füße fest auf den Boden stehen. Die Knie werden schulterbreit geöffnet. Die Oberschenkel und das Gesäß sollten sich nur zu zweidrittel auf der Sitzfläche befinden. Die Oberarme hängen locker am Körper und angewinkelte Unterarme sollten abgestützt werden. Der Kopf ist nicht mehr als 20 Grad geneigt. Die Fingerspitzen befinden sich auf Höhe des Herzens und die Augen sind etwa 40 cm vom Arbeitsfeld entfernt. Damit diese Referenzhaltung möglich ist, muss die Behandlereinheit richtig eingestellt und der Patient optimal gelagert werden. Den Patienten horizontal, mit den Becken als tiefsten Punkt, lagern. Der Kopf sollte dabei so weit wie möglich überstreckt sein. Arbeitsmaterialien und Instrumente liegen optimalerweise vorbereitet innerhalb des physiologischen Greifraums. So bezeichnet man den Bereich, der mit Armen und Händen gut erreichbar ist, ohne dass die Schultern oder der Körper gedreht werden muss.

 

Tipps:

  • Abwechselnde Bewegungen sind für den Körper und die Konzentration förderlich.
  • Minipausen nützen und zur Vorbeugung vor Augenermüdung immer wieder mal in die Ferne schauen. Auch Blinzeln und Gähnen (füllt Augen mit Tränenflüssigkeit) entspannt die Augen.
  • Kleine Übungen wie Äpfel pflücken oder die Schultern beim Einatmen zu den Ohren ziehen und beim Ausatmen die Schulter fallen lassen, sind kurze und schnell durchführbare Entlastungsübungen. –
  • Damit der Patient entspannt in die Rückenlage gebracht werden kann, empfiehlt sich eine stufenweise Anpassung und eine Rolle oder Kissen unter die Kniekehle. Lehnt der Patient nur aufgrund persönlicher Befindlichkeiten die Rückenlage ab, kann mit einem gewissen Augenzwinkern gefragt werden, ob er nachts sitzend schlafen muss, wenn die Rückenlage für ihn nicht möglich ist. Die meisten Patienten sind einsichtig, wenn man ihnen erklärt, dass die adäquate Lagerung sowohl für die Qualität der Arbeit als auch zum Erhalt der langfristigen Leistungsfähigkeit des Behandlers notwendig ist.
  • Die Liegezeit des einzelnen Patienten pro Behandlungsfall steht in keinem Verhältnis zur täglichen Beanspruchung und Belastung des Zahnärzteteams. Daher ist es legitim, Verständnis und Compliance des Patienten einzufordern.
  • Ausreichend Flüssigkeit trinken, einen Ausgleich in der Freizeit und im Privatleben finden, Entspannungsübungen zwischendurch sowie Freude an der Bewegung sind nicht nur Maßnahmen um die Leistungsfähigkeit zu erhalten, sondern auch um zufriedener und ausgeglichener durchs Leben gehen zu können.

Von Elisabeth Kalczyk

Quellen:
Just, M., Die 5 Säulen der Ergonomie,zfv-Verlag, 2011
Rotgans, P. J. Ergonomie: Damit Sitzen nicht krank macht, aufgerufen März/21
Kelly Starrett, Sitzen ist das neue Rauchen, riva- Verlag, 2018