Die Zunge – professionelle Diagnostik und Reinigung in der modernen Prophylaxe
Die Zunge, das größte Organ in der Mundhöhle hat viele Aufgaben. Sie spielt bei den Ursachen für intraoralen Mundgeruch, neben der Gingivitis und Parodontitis, die Hauptrolle. Es könnte 90% der unter oralem Mundgeruch leidenden Menschen durch eine adäquate Mundgeruchstherapie in der Zahnarztpraxis zu frischem Atem verholfen werden. Dieser Artikel informiert sie über die Rolle der Zunge bei intraoraler Halitosis, sowie den Möglichkeiten der Diagnose und Therapie des mundgeruchverursachenden und manchmal auch optisch störenden Zungenbelags.
Entstehung von Mundgeruch auf der Zunge
Der Biofilm auf der Zunge ist die häufigste intraorale Ursache für Mundgeruch, da sich dort die meisten Bakterien befinden (60% – 80% der Bakterien im Mundhöhlenraum). Patient:innen mit Mundgeruch und Zungenbelag haben eine 25fach höhere Bakteriendichte auf der Zunge. Warum? Die raue Oberfläche der Zunge (verschiedene Papillenarten) ist ein Eldorado für Bakterien. Besonders der dorsale Bereich der Zunge reinigt sich selbst sehr schlecht, die Papillen sind an dieser Stelle sehr tief und so können sich die Bakterien dort gut vermehren (siehe Bild 1c). Die Biofilmentstehung auf der Zunge wird durch reduzierten Speichelfluss, falsche Ernährung (tierisches Eiweiß), Rauchen, Stress, Mundatmung und zu wenig Flüssigkeitszufuhr begünstigt. Ebenfalls können Medikamente das orale Zungenmikrobiom negativ beeinflussen und die Auswirkungen sind durch einen Zungenbelag sichtbar (siehe Bild 1c). Der Biofilm auf der Zunge besteht meistens aus Blut- und Speichelbestandteilen, Nahrungsresten, abgestoßenen Epithelzellen und Bakterien und kann sich bei verminderter Kautätigkeit wachsen, da kein natürlicher Abrieb stattfindet (Bild 2a).
Neben dem Zungenbelag können eine Gingivitis oder Parodontitis ebenfalls orale Verursacher von Mundgeruch sein. Dabei spielen die Interdentalräume und Pseudotaschen als Schlupfwinkel für die mundgeruchverursachenden Bakterien eine wichtige Rolle. Deshalb sollten Patient:innen mit Mundgeruch, neben der empfohlenen Zungenreinigung, auch auf eine tägliche Reinigung dieser Nischen mit Interdentalraumbürstchen achten.
Möglichkeiten der Diagnostik von Zungenbelag
Den eigenen Mundgeruch zu riechen ist fast unmöglich, da die Nase die unangenehmen Hintergrundgerüche aus dem Mundraum filtriert und somit den eigenen Atem ignoriert. In der Praxis ist das sicherste Diagnoseinstrument immer noch die Nase des Behandlers (organoleptische Untersuchung), da die Nase bis zu 10.000 unterschiedliche Geruchsnuancen wahrnehmen kann. Es braucht jedoch ein wenig Übung, um die Ursachen für den Mundgeruch feststellen zu können. Dabei empfiehlt es sich, nach dem Beurteilen der Atemluft, auch mit einem Wattestäbchen einen Abstrich der Zunge vorzunehmen und daran zu riechen. Um die Intensität des Geruches des Zungenbelags festzuhalten, kann die Beurteilung durch einen Index von 1-5 vorgenommen werden und man hat damit auch vergleichbare Werte für die nächste Überprüfung.
Ebenfalls empfiehlt es sich die Zunge optisch genauer zu betrachten. Eine Zungendiagnostik erleichtert die Therapieauswahl. Die klassischen Zungenveränderungen wie die Haarzunge (Lingua negra), Landkartenzunge (Lingua geographica) oder die Faltzungen (Lingua plicata) sind ja bekannt. Aber wie schaut der Zungenbelag meiner Patient:innen in der täglichen Praxis aus? Dünn oder dick, gelblich oder weißlich oder doch dunkel? Was sind die Ursachen für die verschiedenen Belagsarten? (Bilder 1a-d) Dazu sollten die Gewohnheiten der Patient:innen etwas näher analysiert werden. Raucht der/die Patient:in (Bild 1a), isst er/sie eher spät abends (Bild 2a), hat er/sie vielleicht gefastet (Bild 1b) oder nimmt er/sie Medikamente wie zum Beispiel Antidepressiva (Bild 1c) oder ist schon etwas älter und nimmt viele Medikamente (Bild 1d)?
Bild 1 a-d Verschiedene Zungenbelagsarten
@ Petra Natter, BA
Die professionelle und häusliche Zungenreinigung
Nachdem andere mögliche intraorale Ursachen wie Gingivitis und Parodontitis für den vorhandenen Mundgeruch ausgeschlossen wurden, sollte aufbauend auf die richtige Zungendiagnostik bei vorhandenem Mundgeruch eine gezielte Zungen-Therapie eingeleitet werden. Hier möchte ich auf das Buch von Prof. Filippi „Die Zunge – Atlas und Nachschlagewerk für Zahnärzte“ hinweisen, das als Nachschlagewerk für dieses komplexe Thema sehr hilfreich sein kann.
Bei vorhandenem Zungenbelag, mit oder ohne Mundgeruch, kann die professionelle Zungenreinigung in der Praxis auf verschiedene Arten durchgeführt werden. Der Zungenreiniger von TS1 (Bild 3) und das Frischegel sind dazu sehr hilfreich. Beim Patienten (Bild 2a+2) wurde während einer Prophylaxesitzung, nach erfolgter Diagnose und Aufklärung bezüglich des Zungenbelags, eine professionelle Zungenreinigung durchgeführt.
Bei stärkerem Zungenbelag ist eine häusliche Zungendesinfektion mit einem geeigneten Zungenreiniger und einem 1% Chlorhexidingel oder einer 0,12% Chlorhexidinspülung über einen Zeitraum von einer Woche empfehlenswert. Ebenfalls können bestimmte Wirkstoffe, wie zum Beispiel Zinkverbindungen (Loesche et al. 2002), die geruchsbestimmenden flüchtigen Schwefelverbindungen besser neutralisieren (Bild 4b).
In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass durch eine professionell durchgeführte Zungenreinigung in der Praxis (Bild 2a-b) die mundgeruchsverursachenden Gase (Volatile, Sulfur, Compounds) reduziert werden konnten (De Boever et al 1996).
Bild 2a-b Vor und nach einer Zungenreinigung in der Zahnarztpraxis
@ Petra Natter, BA
Bei der Auswahl des Zungenreinigers für den/die Patient:in in der häuslichen Anwendung sollten spezielle Zungenreiniger mit Lamellen oder Borsten empfohlen werden (Bild 4a). Reine Zungenschaber haben nicht den gewünschten Effekt, wenn die Furchen zu tief sind, da die anaeroben Mikroorganismen des Zungenepithels nicht erreicht werden. Bei längeren Fadenpapillen kann jedoch ein reiner Zungenschaber seine Vorteile haben. Daher sollte die aufklärende Prophylaxeassistentin das nötige Wissen zu diesem Thema haben.
Der positive Effekt einer regelmäßigen Zungenreinigung auf den gesamten oralen Raum ist bereits seit langem bekannt. In den letzten Jahren wurde bei älteren aber auch bei jüngeren Menschen beobachtet, dass sich der Geschmackssinn durch eine regelmäßige Zungenreinigung verbessert (Quirynen 2004). Ebenfalls wurden positive Auswirkungen auf die Progression von Parodontitis und Periimplantitis, sowie auf die Kariesaktivität festgestellt. Deshalb sollte die professionelle und häusliche Zungenreinigung ein fester Bestandteil der Mundhygiene sein und könnte damit auch einen wertvollen Beitrag zur Mundgesundheit der Bevölkerung leisten.
Petra Natter, BA
Dentalhygienikerin
Lochau
Buchempfehlungen:
Filippi A / Hitz Lindenmüller I (Hrsg.): Die Zunge – Atlas und Nachschlagewerk für Zahnärzte etc. Quintessence Publishing 2016, Deutschland,
Literaturquellen:
De Boever EH, Loesche WJ. The tongue microbiota and tongue surface characteristics contribute to oral malodour. In: Van Steenberghe D, Rosenberg M (eds). Bad breath. A multidisciplinary approach. Leuven: Leuven University Press, 1996: 111-122.
Filippi A. Halitosis – Patienten mit Mundgeruch in der zahnärztlichen Praxis. Berlin: Quintessenz, 2005
Quirynen M, Avontroodt P, Soers C, Zhao H, Pauwels M, van Steenberghe D. Impact of tongue cleansers on microbial load and taste. J Clin Periodontol 2004; 31:506-510.
Onlinequellen:
Zugriff: 05.08.2021
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