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Der ‘individuelle’ Patient

By: | Tags: , , | Comments: 0 | Februar 10th, 2013

Nein, wir wollen unseren Patienten natürlich nicht auf den Schlips treten und ja, wir versuchen nach außen hin immer den Schein zu wahren, egal mit welchen Marotten uns unsere lieben Patienten begegnen; nun wir kennen sie alle. „Prof. Besserwisser“, „Dr. Geizkragen“, „Herr und Frau Nörgler“, den „Null-Bock-Teenie“, „Mrs. Desinteressiert“ und nicht zuletzt die „VIP´s“, auch besser bekannt als die Freunde von der oberen Etage. Sie zwingen uns oft einmal genervt die Augen zu verdrehen und tief durchzuatmen. Und sie sind meist unverbesserlich, folgen weder unseren Anweisungen, noch erscheinen sie pünktlich zu ihren Terminen und diskutieren mit uns die Arbeitsabläufe. Häufig sind sie auch schwer zu behandeln, da sie ständig den Mund schließen oder in einer Endlosschleife quasseln.

Aber wie geht man mit diesen „üblichen Verdächtigen“ um? Schließlich sind auch sie Patienten, die jede Praxis zum finanziellen Überleben braucht. Die Kunst besteht darin, diese „individuellen“ Patienten genauso zuvorkommend zu behandeln wie unsere Lieblingspatienten.

Lernprozess: Perspektivenwechsel

Es ist nicht einfach jedoch sehr hilfreich, die Perspektive zu wechseln. Fragt euch einmal: „Was erlebe ich und was erlebt der Patient in der Ordination?“ Wir bewegen uns ganz selbstverständlich in unserer dentalen Welt, voll gepackt mit den uns vertrauten Gerüchen, Geräuschen und medizinischen Geräten. Wir sind vertraut mit all´ diesen Eindrücken, die unseren Alltag beherrschen und sind ein eingespieltes Team. Wir kennen all die Abläufe und unsere Erwartungshaltung an den Patienten ist: Halte deine Termine ein. Sei pünktlich. Sei mit uns und deiner Behandlung zufrieden und vor allem, sehe deine gesunden Zähne als mindestens genau so wichtig an, wie wir es tun. Denn das ist das Beste für dich!

Das jedoch bei fast allen Patienten gehört die Zahnpflege zum Alltag und hat einen anderen Stellenwert in deren Leben.
Für die meisten Patienten ist Zahnpflege jedoch etwas rein Alltägliches, das keinen besonderen Stellenwert hat. Und das wird von uns nur allzu selten bedacht. Unsere Patienten haben andere, vielfältigere und individuelle Hintergründe. Die Wertigkeiten sind einfach andere.

Und unseren Patienten ist dies bewusst und aus diesem Grund scheuen sie sich, regelmäßig zur Prophylaxe zu erscheinen. Denn was stellen wir fest: „Dass nicht richtig geputzt wurde“; und dies vielleicht noch mit erhobenen Zeigefinger. Und dann erzählen sie uns wie, warum, wieso, aber eh… nicht oder doch geputzt wurde. Und ja, wir wären schuld, dass da jetzt so viel Plaque an ihren Zähnen ist. Andere wiederum haben die Einstellung, dass wir uns nach ihnen zu richten haben, nach dem Motto: „Wer zahlt schafft an.“

Wenn sich dann unser „individueller“ Patient voll behaftet mit seinem Ich, seinen Vorerfahrungen und seinen Vorurteilen auf dem Behandlungsstuhl eingefunden hat, beginnen wir mit unserer Arbeit; auch diese ist für uns alltäglich und nur selten denken wir daran, dass wir in einem geschützten Bereich – im „Intimbereich“ – arbeiten. Überlegt doch einmal: Wie viele Personen dürfen in eurer Mundhöhle schauen? Und als ob das nicht schon genug Stress für den Patienten bedeutet, legen wir den Patienten einfach um und „ziehen ihm den Boden unter den Füssen weg“.

Nun die Zahnarztpraxis ist kein Wellness-Hotel und unsere Behandlungsstühle sind keine Kuschelsofas, aber wir können doch einen Beitrag dazu leisten, dass sich auch der „individuelle“ Patient beginnt, sich nach und nach wohlzufühlen.

Betrachten wir es einmal sachlich: Eine entspannte, lockere Kommunikation ist keine Selbstverständlichkeit.  Akzeptieren wir, dass die wenigsten Patienten wirklich gerne zu uns in die Prophylaxesitzung kommen und die meisten froh sind, wenn sie uns verlassen dürfen.

Das hat überhaupt nichts – oder zumindest in den seltensten Fällen – mit uns persönlich zu tun. Der Widerstand, den wir bei unseren „individuellen“ Patienten erleben, hat vornehmlich mit den Diskrepanzen unserer Welten zu tun. Jeder Mensch hat seine persönliche Eigenheit, Meinung, Gewohnheit, Geschichte und Verhaltensweise. Und im Laufe seines Lebens entwickelt er diese Eigenschaften weiter und etabliert sie.

Bei sympathischen Patienten erkennen wir sehr schnell Übereinstimmungen. Sind die Patienten aber unsympathisch, erkennen wir vermehrt Unterschiede, die uns stören und das hat Folgen. Denn es löst Vorurteile aus und wir stecken unseren Patienten in eine Schublade, die am besten luftdicht verschlossen wird. Und was folgt, ist ein „Gewaltakt“, denn es kostet uns sehr viel Kraft gegen die „falsche“ Einstellung anzugehen.

Es wäre doch einfacher unseren Blickwinkel auf den Patienten zu ändern.

  • Lasst ihn aus seiner Schublade heraus und versucht, seine Welt zu betrachten und zu verstehen.
  • Gebt dem Patienten genügend Raum, Zeit  und Gelegenheit anzukommen und gestaltet das Gespräch auf Augenhöhe (nicht im Liegen) und so angenehm wie möglich.
  • Gebt ihm einfach das Gefühl, dass er wahrgenommen wird und auch etwas zu sagen hat.

Hier noch eine kleine Typenlehre und die dazu passenden „individuellen“ Betreuungsstrategien.

Der Besserwisser (Yang-Typ)

Er redet viel. Legt die Themen und Regeln fest und kritisiert gerne alles und jeden, hinterfragt mit Vergnügen und am liebsten erläutert er seinen Standpunkt.

Dieser Typ hat aber auch positive Seiten: Er hat großes Interesse – auch am Thema Prophylaxe – und er ist bereit, Geld und Zeit in die Beschaffung von neuen Produkten zu investieren. Oftmals zeichnet er sich durch ein hohes Sicherheitsbedürfnis aus und nicht selten sucht er die Bestätigung durch Fachleute, ob er „eh richtig liegt“.

Strategie: Erkundigt euch nach seinen Infoquellen und wenn euch diese Quellen gefallen, dann schenkt eurem Patienten Anerkennung. Fragt nach, ob er sich über dieses Thema austauschen möchte. In diesem Fall wäre natürlich eine Fachkompetenz von Vorteil. Wer sie noch nicht hat, bitte dringend aneignen. Und haltet Infomaterial bereit! Sollte dieser Patient den Behandlungsbedarf nicht erkennen, bleibt bei sachlichen Informationen. Zieht Befunde, die vom Arzt erstellt wurden, in die Behandlung mit ein und versucht viel mit Bildern zu arbeiten (Intraoralkamera bzw. Anfärben, Situation vorher/nachher).

Der Geizkragen (der Bazar ist eröffnet)

„Alles viel zu teuer“, ist sein Lieblingssatz. Sobald er den Behandlungsraum betritt, zückt er die Stoppuhr, diskutiert über Preissteigerungen und droht mit einem Wechsel bzw. holt sich viele Angebote ein. Er findet wahnsinnigen Gefallen daran, um Preise zu handeln und zu feilschen.

Seine positiven Seiten: Er investiert Zeit und Aufwand in Vergleiche. Es gibt gewisse Dinge, die ihm wichtig sind und in der Regel ist das nicht nur Geld. Er investiert sein Geld nur in Dinge, die ihm auch wirklich etwas nutzen. Findet heraus, was er schätzt – an euch und eurer Arbeit. Dieser Patient erfreut sich ungemein, wenn er ein Schnäppchen macht (z. B. bei Zahnbürsten 3+1) oder führt in Absprache mit eurem Chef sogenannte Pakete ein (bei regelmäßigen Recall etwa einen „Vertrauenstag-Spezialtarif“). Führt sachlich auf, welchen Behandlungsbedarf er hat und bietet ihm mindestens zwei Lösungen mit seinen Vorteilen an (Standard und hochwertig). Wichtig ist es jedoch, die Entscheidung des Patienten zu akzeptieren und seine Wahl nicht abzulehnen. Und all dies am besten schwarz auf weiß, denn er benötigt etwas, das er mit nach Hause nehmen kann.

Der „Null-Bock“-Interessierte

Oftmals redet er eher wenig und möchte noch bevor er am Behandlungsstuhl sitzt, schon wieder flüchten und wenn möglich nur einmal im Jahr zum Recall. Er stellt keine Fragen und sein Interesse liegt in anderen Dingen. Natürlich kann sein Desinteresse auch daher rühren, dass er schon schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht hat und sich von der bevorstehenden Behandlung nichts verspricht.

Seine positiven Seiten: Die häusliche Mundhygiene empfindet er als lästigen Alltagskram und seine Zeit ist ihm wichtiger für andere To-do´s. Jedoch kommt er trotz allem zur Recall-Sitzung. Was uns wiederum zeigt, dass er seinen „Pflichten“ nachkommt und er Vertrauen in unsere Arbeit hat. Belehrungen widerstreben diesem Typ. Akzeptiert, dass dieser Patient nur ein Minimalinteresse hat, vielleicht ändert sich dies auch im Lauf der Zeit.

Der Nörgler & Querulant

Auch er kritisiert gerne alles und jeden, der ihm in der Ordination über den Weg läuft, rein gar nichts ist ihm recht; und das kann er auch stimmgewaltig kundtun.

Seine positiven Seiten: Er nimmt seine Umwelt sehr genau war. Feste Regeln und Werte sind ihm wichtig und er möchte Beachtung und Anerkennung. Bitte das Wort „aber“ bei einer Rechtfertigung vermeiden. Ersetzt ein „aber“ durch ein „und“ bei Angelegenheiten, in denen ihr seine Anliegen nicht erfüllen könnt. Wenn eine gleiche Meinung im Raum schwebt, dann sagt dem Patienten: „Sie haben recht, ich erlebe das genauso“. Dieser kurze Satz trägt  viel zu einem Vertrauensaufbau bei. Achtet auf eine gelassene, souveräne und offene Körpersprache, denn eine Abwehrhaltung fordert diesen Patienten heraus.

Und zu guter Letzt: Die Freunde des Chef´s & sonstige VIP´s

Er untergräbt oder hinterfragt gerne eure Kompetenz und Stellung. Beachtet euch nicht, drängelt sich an euch vorbei. Nur die Meinung des Freundes/Chefs zählt.

Seine positiven Seiten: Wertschätzung und persönliche Kontakte sind ihm enorm wichtig und er legt Wert auf seine soziale Stellung.

Konkrete Absprachen mit dem/der Arzt/Ärztin und dem Team wären für eine reibungslose Zusammenarbeit förderlich. Legt im gesamten Team fest, welche Sonderbehandlungen gewünscht und umsetzbar sind, ebenso auch die Grenzen. Sorgt dafür, dass euer/eure Chef/Chefin seine Kompetenz in der Prophylaxe an euch weitergibt und dies auch dem Patienten kommuniziert. Gebt dem Patienten das Gefühl, dass ihr euch mit dem/der Arzt/Ärztin gemeinsam auf seine Behandlung vorbereitet habt. Entsprechend der Situation ist eine Nachkontrolle des/der Arztes/Ärztin angebracht, denn das vermittelt ebenfalls Kompetenz.

Kleines feines Fazit

  • Entscheidend für den Umgang mit dem „individuellen“ Patienten ist, sich nicht auf die (vermeintlichen) Schwierigkeiten zu konzentrieren. Mit negativer Grundeinstellung, Widerstand, Ärger und Stress ist eine Kommunikation mit diesen Patienten enorm Kräfte raubend und in den seltensten Fällen erfolgreich.
  • Vielleicht ist es einfacher euch vorzustellen, ihr seid selbst Patient. Denn wenn ihr euch das aus diesem Blickwinkel betrachtet, dann werdet ihr eure Patienten/innen individueller und empathischer betreuen.
  • Informiert eure Patienten über den Behandlungsablauf, denn das schafft Vertrauen und Vertrauen ist eine wichtige Grundlage für eine entspannte Zusammenarbeit.
  • Ein weiterer empfehlenswerter Ansatz für alle „individuellen“ Patiententypen ist die Menschlichkeit: Sich immer wieder selbst zu reflektieren und dem Patienten gegenüber einzugestehen, dass man bzgl. der häuslichen Mundhygiene auch nicht immer top motiviert ist und gelegentlich Fehler macht.
  • Versucht einfach die positiven Seiten an eurem Patienten zu erkennen und geht auf seine Bedürfnisse ein.

 

Autorin:
Barbara Bergmann
Prophylaxeassistentin in Wien